Desensibilisierung

Desensabilisation

DESENSIBILISIERUNG: UM WAS HANDELT ES SICH?

Die klassische Immuntherapie oder Desensibilisierung besteht in der subkutanen Verabreichung steigender Dosen eines Allergens, die eine progressive natürliche Exposition mit diesem Allergen ermöglicht, ohne eine anaphylaktische Reaktion auszulösen. Obschon bisher wenig über diese Mechanismen bekannt ist, hat sich die spezifische Desensibilisierung doch als besonders wirksam in der Behandlung von Allergien auf Gifte von Hautflüglern (Wespen und Bienen) sowie bei Monoallergien auf Inhalationsallergene (Pollen) erwiesen. Bei polyallergischen Patienten ist diese Waffe hingegen wenig wirksam. Die Desensibilisierung kann potentiell Nebenwirkungen auslösen (Anaphylaxie) und ist mit einer langen Behandlungsdauer verbunden (3 bis 5 Jahre).

ALLERGIEKRANKHEITEN UND DESENSIBILISIERUNG

Anaphylaxie: Wespen- und Bienengift
Allergische Rhinitis und Konjunktivitis Augenbindehautentzündung
Allergisches Asthma

Der Nachweis einer Überempfindlichkeit durch diagnostische Tests ist eine zwingende Voraussetzung für die Durchführung einer Desensibilisierung. Positive Hauttests, meist zusätzlich bestätigt durch den Nachweis spezifischer IgE-Antikörper durch eine in vitro-Bestimmung, bilden die Grundlage jeder Entscheidung über die Desensibilisierung gegen ein bestimmtes Allergen. In gewissen Fällen müssen intradermische Tests durchgeführt werden, besonders bei Überempfindlichkeiten auf Hautflüglergifte. Die Testergebnisse müssen selbstverständlich mit der klinischen Äusserung in Bezug gesetzt werden, um ihre tatsächliche Bedeutung zu beweisen.

Die Mechanismen der Immuntherapie sind noch wenig bekannt. Seit den 80er Jahren weiss man, dass die Reaktionen bei den Hauttests, die Reizungen von Augenbindehaut, Nasenschleimhaut und Bronchien durch das Allergen nach erfolgter Desensibilisierung abnehmen. Die frühe entzündliche Phase sowie die Spätphase der allergischen Reaktion werden deutlich gemildert. Verschiedene Ansatzpunkte wurden nachgewiesen. Zahlreiche Hinweise lassen darauf schliessen, dass die TLymphozyten (weisse Blutkörperchen, die das Antigen oder das Allergen erkennen), deren entscheidende Rolle in der Auslösung der IgE-Produktion (Allergie-Antikörper) bekannt ist, zu den bevorzugten Zielen der Immuntherapie gehören.

BEI WELCHEN ALLERGIEN KOMMT EINE DESENSIBILISIERUNG IN FRAGE?

Durch das Gift von Hautflüglern ausgelöste Anaphylaxie. Die Überempfindlichkeit auf Hautflüglergifte (in unserem Klima Wespen und Bienen) bildet je nach Ausmass der Reaktion eine dringende Indikation für eine Desensibilisierung. DieWirksamkeit dieser Technik ist heute definitiv nachgewiesen. Sie scheint indes- sen bei einer Überempfindlichkeit auf Wespengift geringfügig besser zu sein als bei einer Überempfindlichkeit auf Bienengift. Für die Desensibilisierung kommen verschiedene Initiationsprotokolle in Frage: ein Standardverfahren, das in der Verabreichung von gereinigten Giften in ansteigenden Dosen über einen Zeitraum von ungefähr 3 Monaten bis Erreichen der Sockeldosis besteht, eine schnelle Desensibilisierung («rush») innert 4 Tagen und schliesslich eine ultra-schnelle Desensibilisierung («ultra-rush») innert weniger Stunden. Die Gesamtdauer der Immuntherapie bei Hautflüglergiften ist noch schwierig zu bestimmen. Sie hängt von der Intensität der ursprünglichen Reaktion ab, und im Prinzip wird bei Überempfindlichkeit auf Wespengift eine Desensibilisierungsdauer von 3 Jahren empfohlen. Bei einer schweren Reaktion sollte die Desensibilisierung auf Bienengift mindestens 5 Monate dauern. Wie lange nach erfolgter Desensibilisierung der Schutz erhalten bleibt, ist noch wenig bekannt.

Allergische Rhinitis und Konjunktivitis. Für den Entscheid über den Beginn einer Desensibilisierung bei einem Patienten mit allergischer Rhino-Konjunktivitis geben verschiedene Argumente den Ausschlag, darunter vor allem die Dauer der Symptome während der Pollensaison, das Ausmass der Beschwerden, die Antwort auf die klassische Pharmakotherapie, das Vorhandensein von Asthma etc. In der allgemeinen Praxis führen diese verschiedenen Symptome zu einer Beobachtung des Patienten unter klassischer Pharmakotherapie während mindestens einem Jahr, bevor über eine Desensibilisierung entschieden wird.

ALLERGENE UND DESENSIBILISIERUNG:
Wespen- und Bienengift
Pollen von Bäumen, Gräsern und Kräutern
Milben (an erster Stelle sind Massnahmen zur Entfernung des Allergens aus der Umwelt zu ergreifen)
Hautschuppen von Tieren (zuerst Entfernung des Allergens aus der Umwelt)
Schimmelpilzsporen

Immuntherapie bei Asthma. Die Rolle der Desensibilisierung bei Asthma wird diskutiert. Die Bedeutung der Inhalationsallergene bei asthmatischen Überreizungen wurde klar aufgezeigt, und zwar für perenniale Allergene wie Milben oder Tierhaare ebenso wie für saisonale Allergene wie Pollen von Gräsern, Bäumen, Kräutern und Sporen von Schimmelpilzen. Je nach Dauer der Exposition führt die allergische Sensibilisierung zu einer dauerhaften Schwellung der Schleimhäute, die mit der Aktivierung zahlreicher Blutzellen verbunden ist, zuerst Mastzellen und Lymphzellen, dann Neutrophile und besonders Eosinophile (weisse Blutkörperchen in der Allergie impliziert), welche für die Freisetzung einer grossen Zahl von entzündungsstimulierenden Substanzen verantwortlich sind. Generell sollte die Immuntherapie nur in Verbindung mit Massnahmen zur Entfernung der Allergene und mit einer entzündungshemmenden Medikation in Betracht gezogen werden. Das klassische therapeutische Vorgehen bei Asthma -Schulung des Patienten, Methoden zur Entfernung der Allergene und Asthma- Medikation – wurde kürzlich in einem europäisch-amerikanischen Konsens klarefiniert. Eine Immuntherapie sollte generell nicht begonnen werden, bevor nach den Richtlinien dieser jüngsten Publikationen optimale Resultate erzielt wurden.

DESENSIBILISIERUNG AUF WELCHE ALLERGENE?

Die Wirksamkeit der subkutanen Immuntherapie bei pollenbedingter Rhinitis und Konjunktivitis ist unbestritten. Die Desensibilisierung erscheint jedoch bei Symptomen der pollenbedingten Konjunktivitis weniger wirksam als bei denen der pollenbedingten Rhinitis.Die Wirksamkeit der Desensibilisierung hängt von der zuletzt erreichten Dosis ab. Die Injektion von Lösungen mit einem einzelnen Allergen ist daher derjenigen von Allergen- Mischungen vorzuziehen. Trotz allem gelten für die Behandlung verschiedene Einschränkungen: obschon theoretisch eine Desensibilisierung bei der oralen Kreuzreaktion (z.B. Allergie Apfel-Birke) eine Möglichkeit sein könnte, konnte in diesem Zusammenhang bisher keine Studie eine günstige Wirkung nachweisen.

Die Wirksamkeit der Desensibilisierung bei einer perennialen Rhinitis auf Milbenallergene ist ebenfalls anerkannt. Dieses Vorgehen ist aber in jedem Fall erst in Betracht zu ziehen, nachdem optimale Massnahmen zur Entfernung der Milben ergriffen wurden und eine ausreichend lange (mehrmonatige) Behandlung mit einem entzündungshemmenden Arzneimittel oder einem äusserlich angewandten Antihistamin erfolgt ist.

Wie bei der Rhino-Konjunktivitis hat sich die Desensibilisierung bei saisonalen allergischen Asthmaerkrankungen als wirksam erwiesen (Gräserpollen, Birke, Beifuss). Verschiedene Studien weisen nach, dass die Desensibilisierung die Auslöseschwelle der unmittelbaren allergischen Reaktion nach bronchialer Reizung mit dem spezifischen Allergen signifikant senkt und auch das Ausmass der späteren entzündlichen Phase vermindert. Auch beim von der Überempfindlichkeit auf Milben ausgelösten Asthma bewirkt die Desensibilisierung durch standardisierte Extrakte gegenüber dem Placebo einen signifikanten Schutz. Am markantesten ist er bei jugendlichen Patienten und Kindern, während bei Patienten mit schwerem, schlecht reversiblem Asthma weniger darauf ansprechen. Die letztere Beobachtung unterstreicht, wie wichtig es ist, eine Immuntherapie durchzuführen, bevor eine chronische Phase mit irreversiblen Schäden eintritt.

Obschon die Wirksamkeit der Desensibilisierung auf Hautschuppen von Tieren bewiesen ist, besteht der wichtigste Schritt in der Behandlung von Asthma in dieser Situation in der Vermeidung von Tierkontakten und vor allem im Verzicht auf Tierhaltung. Eine Immuntherapie kann jedoch bei beruflichen Allergien in Betracht gezogen werden, bei Tierärzten, Landwirten und Personen, die im Labor Tierkontakte haben, oder bei stark sensibilisierten Patienten, die den Kontakt mit dem Allergen nicht vermeiden können, besonders bei indirekter Exposition mit dem Allergen durch Personen mit Tierkontakten und Allergenträgern. Schliesslich haben gut überwachte Studien mit qualitativ hoch stehenden Extrakten von Schimmelpilzsporen die Wirksamkeit der Desensibilisierung mit diesem Allergen gezeigt.

EINE ANDERE FORM DER IMMUNTHERAPIE: DIE SUBLINGUALE DESENSIBILISIERUNG

Bei der sogenannten sublingualen Form der Desensibilisierung wird die Dosis Allergenextrakt in Form einer Flüssigkeit (Spray, Tropfen) oder einer löslichen Tablette verabreicht, die der Patient unter der Zunge zergehen lässt. Der Extrakt wird anschliessend nach 2 bis 3 Minuten geschluckt oder ausgespuckt. Auch wenn diese Art der Desensibilisierung bei Kindern weniger «traumatisierend» und praktischer erscheint, weil sie vom Patienten selbst verabreicht werden kann, konnte bislang kein immunologischer Marker der modulierenden Wirkung dieser Form der Desensibilisierung nachgewiesen werden. Mehrere Studien zeigen jedoch eine günstige Wirkung der sublingualen Immuntherapie bei der Rhinitis, mit oder ohne Konjunktivitis, sowie bei Asthma auf, obwohl diese leicht bis mässig ist. Die Vergleiche zwischen den beiden sublingualen und subkutanen Techniken zeigen, dass die sublinguale Desensibilisierung zwar etwas weniger wirkungsvoll ist als die subkutane Desensibilisierung, jedoch gute Sicherheit bietet (es konnten keine schweren Reaktionen beobachtet werden).

Der grösste Nachteil der sublingualen Desensibilisierung besteht darin, dass die tägliche Behandlung lästig ist und eine strenge Befolgung durch den Patienten erfordert: Werden wiederholt Dosen vergessen, wird die Wirkung der Behandlung gefährdet. Ausserdem konnte die ideale Dosis für die sublingualen Extrakte, insbesondere für die flüssigen Formen, bislang noch nicht präzisiert werden. Dennoch ist dieser Ansatz einer über die Schleimhaut erfolgenden Desensibilisierung höchst wünschenswert und es wird aktiv in diese Richtung geforscht.

WIE WIRD DIE DESENSIBILIERUNG EINGESETZT?

Zwei wesentliche Faktoren sind für die Empfehlung einer Immuntherapie ausschlaggebend:
Das Vorhandensein einer Allergie mit einer beschränkten Zahl von Allergenen, von der man weiss, dass sie beträchtlich besser anspricht als eine Polyallergie.

Die ungenügende Antwort auf eine pharmakologische Behandlung oder der Wunsch des Patienten, eine solche Behandlung nicht fortzusetzen.

Mit einer Desensibilisierungsbehandlung werden eine Anzahl Risiken eingegangen. Die Injektion von Allergenen an Patienten mit spezifischem IgE birgt das Risiko allgemeiner allergischer Reaktionen vom einfachen Hautausschlag bis zum Schock. Die Verwendung von Depot-Allergenen hat die Reaktionsrisiken reduziert. Bei wasserhaltigen Extrakten, wie sie vor allem bei der Desensibilisierung auf Hautflüglergifte verwendet werden, bleiben sie gross. Eine lokale Reaktion mit Schwellung, Rötung oder Juckreiz ist praktisch unvermeidbar und mehr als Hinweis anzusehen, dass der Patient auf die Behandlung anspricht. Bestimmte Medikamente wie Betablocker sind bei einer Desensibilisierung kontraindiziert, weil sie die Wirkung von Adrenalin blockieren, jenem Hormon, das der Arzt bei einer allgemeinen allergischen Reaktion möglicherweise einsetzen müsste. In jedem Fall muss der Patient vor Beginn einer Desensibilisierung unbedingt alle Medikamente angeben, die er einnimmt.

Im Allgemeinen kommen schwere Reaktionen wie Asthma, Gefässödeme oder anaphylaktischer Schock in den neueren Studien nur selten vor, wenn vor der Injektion die üblichen Vorsichtsmassnahmen ergriffen wurden, vor allem die Zufuhr von Antihistaminen. Unerwünschte Reaktionen begünstigende Faktoren sind meist eine Überdosis von Allergenen oder die Verabreichung von Allergenen in zu kurzen Intervallen mit der Folge, dass die Allergendosis der vorangehenden Injektion sich mit der neuen summiert. Die Injektion des Allergens in zu langen Intervallen mindert ebenfalls die Schutzwirkung der vorangehenden Injektion. Auch andere technische Fehler wurden beschuldigt, so die ungewollte intravenöse oder intramuskuläre Injektion, eine Verwechslung der Injektionslösung, ein Versehen bei der Verdünnung. Eine Asthmakrise, eine grosse physische Anstrengung des Patienten nach oder unmittelbar vor der Injektion sind weitere wichtige Gründe für schwere Reaktionen. Das Alter des Patienten scheint ebenfalls ein wichtiger Faktor zu sein. Bei Kindern unter 5 Jahren besteht ein signifikant grösseres Risiko für allgemeine Reaktionen.

Das Interesse an der klinischen Desensibilisierung oder spezifischen Immuntherapie nimmt wieder zu. Der Einsatz von Allergen-Extrakten von hoher Qualität hat die Bedeutung der Desensibilisierung bei Anaphylaxie auf Hautflüglergifte, auf Rhino-Konjunktivitis und Asthma infolge einer Überempfindlichkeit auf Pollen und Milbenallergene, und in geringerem Masse auch auf Tierhautschuppen und Schimmelpilzsporen nachgewiesen.

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Prof. François Spertini
Immunologie & allergie, CHUV, Lausanne

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